Oftmals ist es doch so: Irgendjemand in der Organisation (meistens Geschäftsführung oder Vorstand) hört oder liest, dass man mit OKR seine Ziele besser erreichen und dafür sorgen kann, dass alle Mitarbeiter:innen Verantwortung übernehmen. Im besten Fall setzt sich diese Person selbst näher mit OKR auseinander und merkt, das Rahmenwerk ist zwar leichtgewichtig, bringt aber Herausforderungen mit sich. Im schlechtesten Fall wird OKR einfach von heute auf morgen dem Unternehmen übergestülpt und der Veränderungsprozess komplett ignoriert. OKR wird aber niemals im luftleeren Raum eingeführt, da ist ja schon ein Unternehmen mit gewachsener Dynamik, Kultur und Gegebenheiten. Vielleicht bist du genau aus diesem Grund hier: Du fragst dich: "Woran kann ich erkennen, ob mein Unternehmen überhaupt schon reif für die Arbeit mit OKR ist?".
In diesem Artikel schauen wir uns konkret zwei Themen an, deren Ausprägungen im Unternehmen einen enormen Einfluss auf eine OKR Einführung und langfristig auf die wirksame Arbeit mit OKR haben.
tl;dr: Performance Management oder Bonus Systeme sind absolutes Gift für OKR!! Und für echte Wertschöpfung im Allgemeinen.
Wusstest du, dass die Wurzeln des Performance Managements bis zum 1. Weltkrieg zurückreichen? Es fing an als Punktesystem im US-Militär an, um Personal mit schwacher Leitung identifizieren und rauswerfen zu können. Sagt eigentlich schon alles. 🙈
Man mag argumentieren, dass solche Systeme in Unternehmen mit der "guten" Absicht entstanden sind, um einzelne Personen, Teams und Bereiche objektiv bewerten und kontinuierlich verbessern zu können. Um einen Anreiz zu setzen, "mehr zu leisten". Mag stimmen. Und es kann auch unter bestimmten Voraussetzungen sogar funktionieren. Nämlich u.a. dann, wenn es sich a) um ein stabiles Umfeld bzw. einen stabilen Markt etc. handelt und b) die auszuführenden Aufgaben absolut kleinteilig und repetitiv sind. Bedeutet, ich kann mein Hirn bei der Ausführung weitestgehend ausschalten.
Für alle anderen Tätigkeiten, die komplexer sind und Kreativität erfordern, sind Peformance Management Systeme oder Bonus Systeme absolut hinderlich. Witzigerweise ist das einer der am besten erforschten Bereiche in der Business Welt - und einer der am meisten ignorierten. Dan Pink fasst es in seinem TED Talk "The Puzzle of Motivation" wunderbar zusammen:
Wenn OKR auf ein bestehendes Performance Management oder Bonus System trifft, passiert häufig folgendes: In OKR ist die kleinste Einheit das Team, das heißt, es gibt Team OKRs, die auf die übergeordnete Strategie einzahlen. Als einzelne Person kann ich keine Wertschöpfung kreieren.
Nun habe ich als einzelne Mitarbeiterin noch meine individuelle Zielvereinbarung, die stark ans Tagesgeschäft gekoppelt ist und deren Erfüllung einen großen Teil meines Gehalts ausmacht. Ich habe noch kein Unternehmen kennengelernt, in dem sich die Belegschaft langweilt, Zeit ist also immer knapp. Wenn sich Mitarbeiter:innen dann entscheiden müssen, ob sie an Dingen arbeiten, an die ihr Bonus gekoppelt ist oder an ihren Team OKRs:
Die Folge: OKRs bleiben unbearbeitet und werden von Zyklus zu Zyklus nicht erreicht.
Bei einigen schleicht sich als Lösung dieses Problems folgende Idee ein: "Na, ist doch ganz einfach! Wir koppeln einfach OKRs an Boni. Am besten noch auf individueller Ebene!". Du wirst es ahnen, das kann nur nach hinten losgehen. Die Leute werden immer eine Möglichkeit finden, ihre Ziele zu 100% zu erreichen. Entweder setzen sie sie so niedrig an, dass sie im Schlaf erreicht werden können oder es werden Zahlen und Produkte so manipuliert, dass es passt. Worst case: Diesel Skandal Ausmaß.
Zusammengefasst sind die am häufigsten zu beobachtenden Konsequenzen die folgenden:
Wenn es deinem Unternehmen eine Art Performance oder Bonus System gibt, bedeutet das nicht, dass OKR für euch automatisch vom Tisch ist. Aber es ist umso wichtiger, ein starkes "Wozu OKR?" in eurem Unternehmen zu kommunizieren, sich der Herausforderung bewusst zu sein und z.B. folgende Handlungsoptionen zu erwägen:
Wichtig ist auch zu verstehen, wie stark diesen Systemen tatsächlich gefolgt wird. Wer legt besonderen Wert darauf? Ein augenöffnendes Zitat eines Vorstandsmitglieds (Vorstand!) auf die Frage eines Mitarbeiters, wie er nun seine Arbeit priorisieren soll:
"Na, setz deine Prio ab jetzt auf OKR. Mal ehrlich, deinen Bonus bekommste ja sowieso jedes Jahr zu 100%."
tl;dr: Drill auf "fehlerlose Exzellenz" ist bullshit und everyone knows it.
Eine gesunde Fehlerkultur zu leben ist, denke ich, einer der Endgegner für Unternehmen, v.a. im deutschsprachigen Raum. Ziele gelten dann als einigermaßen zufriedenstellend erreicht, wenn sie zu 120% erreicht werden. Fehler und Irrtümer werden drakonisch bestraft. Ich übertreibe natürlich. Oder?!
Unternehmen können wunderbar die Produktion von Fahrrädern planen, in einen Prozess gießen und steuern. Die Fahrräder hingegen später zu verkaufen, Kund:innen zu Fans zu machen...dafür gibt es keinen allgemein gültigen Prozess, der für jede Organisation garantiert immer funktioniert.
Gerade in einem solchen komplexen Umfeld, in dem es nicht den einen Ursache-Wirkung Zusammenhang gibt, in dem sich viele verschiedene Faktoren gegenseitig beeinflussen und der Lösungsraum schier unendlich ist, sind Fehler und Irrtümer vorprogrammiert. Wir müssen uns quasi "voran-irren". Und wir können das als Menschen ziemlich gut, es wird uns nur bereits ganz früh in unserem Leben abtrainiert. Gerhard Wohland hat ein Denkwerkzeug für diesen Sachverhalt entwickelt: Rot-Blau. Mehr darüber findest du hier.
Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass wir in einer Gesellschaft aufwachsen, in der Fehler sehr früh geahndet und mit unangenehmen Emotionen gekoppelt werden. Das beginnt spätestens in der Schule und hört niemals auf. Es ist sehr herausfordernd, das als erwachsener Mensch wieder zu verlernen.
“I've missed more than 9000 shots in my career.
I've lost almost 300 games.
26 times, I've been trusted to take the game winning shot and missed.
I've failed over and over and over again in my life.
And that is why I succeed.” - Michael Jordan
Die in einem Unternehmen vorherrschende Fehlerkultur ist auch stark an das Thema des vorherigen Abschnitts geknüpft: Individuelle Performance und Bonus Systeme. In denen sind Fehler und Irrtümer immer schlecht und müssen unbedingt vermieden werden. Und die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter schaffen das auch. Indem Fehler verschwiegen oder andere Sündenböcke dafür gefunden werden. Und wieder worst case Szenario: Diesel Skandal. Oder Ford Pinto Desaster.
In OKR bearbeiten wir Themen strategischer Natur, d.h. im komplexen Umfeld. Hypothesen, die wir mithilfe von OKRs aufstellen, werden auch mal widerlegt werden. Metriken in den OKRs bzw. in den Key Results sind Informationen für das OKR Team, d.h. es kann sein, dass ein Key Result von 0% eine super wichtige Auskunft ist, die uns sagt: Probier was anderes.
Dementsprechend solltest du dir die Frage stellen: Wie verhalten sich Führungskräfte oder der Vorstand bei euch, wenn Ziele nicht erreicht werden oder Projekte scheitern?
Diese zwei Themen sind natürlich bei Weitem nicht die einzigen Einflussfaktoren, die dir bei der Abwägung helfen, ob deine Organisation reif für eine wirksame Arbeit mit OKR ist.
Mit meiner Kollegin Kristina Muth habe ich für das Projektmagazin einen umfangreichen Artikel geschrieben, der noch zwei weitere Reifegrade für die Arbeit mit OKR detailliert beleuchtet: Den Reifegrad des Teams und den der Führungskraft. Hier könnt ihr ihn lesen (Achtung paywall).
Jede Organisation hat ihre Herausforderungen und sie werden im Veränderungsprozess bei der Arbeit mit OKR nur noch sichtbarer. Es ist wichtig zu entscheiden, ob ihr diese Herausforderungen während der OKR Einführung angehen könnt oder ob sie euch zu sehr im Weg stehen.
© 2025 Sandra Pretzer